 |  | Die Neue Nationalgalerie öffnet nach der Sanierung wieder | |
Ursprünglich sollte der Bau die Firmenzentrale des Rumherstellers Bacardi in Santiago de Cuba werden; doch nach der Kubanischen Revolution und der Verlegung des Konzernsitzes auf die Bermudas wurden die Pläne schnell ad acta gelegt. Sein Glanz entfaltet der 50 auf 50 Meter messende, streng reduktionistische Entwurf heute als Museum: Ludwig Mies van der Rohe errichtete das weltbekannte Gebäude zwischen 1965 und 1968 als Neue Nationalgalerie in Berlin. Mit der weiten, transparenten Glashalle und dem fließenden Grundriss im Sammlungsgeschoss hat der bedeutende Architekt und ehemalige Bauhaus-Direktor seine Suche nach dem, wie er es nannte, „offenen Raum“ vollendet. Nach beinahe mehr als 50 Jahren wurde der Komplex nun vom Berliner Büro David Chipperfield Architects erstmals saniert. Um den Denkmalcharakter der Inneneinrichtung zu bewahren, wurden rund 35.000 einzelne Bauteile, wie etwa Leuchten, Holzeinbauten und Türen eigens demontiert, restauriert und anschließend wieder installiert.
Nach sechs Jahren der Renovierung öffnet am Wochenende die Neue Nationalgalerie wieder ihre Türen für die Öffentlichkeit. Der markante Stahl- und Glasbau Mies van der Rohes, eine architektonische Ikone der späten 1960er Jahre von kompromissloser Modernität, wird gleich mit drei parallelen Ausstellungen bespielt. In der für insgesamt 140 Millionen Euro runderneuerten Galerie sind neben der neu eingerichteten Dauerausstellung auch zwei Präsentationen rund um Alexander Calders Hauptwerk „Têtes et Queue“ sowie zur Medienkünstlerin Rosa Barba zu sehen. Zugleich wurden zahlreiche Skulpturen der Sammlung im Außenbereich wieder aufgestellt, darunter Arbeiten von Henry Moore, Wolfgang Mattheuer, George Rickey, Wilhelm Loth, Eduardo Chillida oder Robert Indiana. Ein fulminanter Auftakt für den Kulturherbst in der Hauptstadt.
Ein Gebäude als Kunstwerk
Im Frühjahr dieses Jahres konnte die Sanierung, deren Kosten zwischenzeitlich merklich angestiegen waren, abgeschlossen werden. Neben einer Instandsetzung des Betonfundaments, neuen Glasscheiben und einer Modernisierung der Fußbodenheizung und Klimaanlage wurden auch der Brandschutz und die Sicherheitstechnik grundlegend überarbeitet. Völlig neu ist etwa auch ein Aufzug, der hinter den Garderoben verborgen liegt. Im Sinne einer Historisierung des Gebäudes wurden die Ausstellungsräume erneut mit einem Teppichboden ausgekleidet, sodass auch in Zukunft die Besucherinnen und Besucher gedämpften Schrittes durch die ehrwürdigen Hallen der Nationalgalerie wandeln können.
„Mit der Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie erhalten die Staatlichen Museen zu Berlin mehr als eines ihrer wichtigsten und schönsten Ausstellungshäuser zurück“, befindet Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen. „Die klare und helle Architektur des von Mies van der Rohe entworfenen Kunstwerks der klassischen Moderne stand seit jeher für Aufbruch, Toleranz und Weltoffenheit. Das Gebäude ist ein wunderbarer Ort, um Orientierungspunkte in Differenzen zu finden und Diskussionen mit Klarheit und Aufrichtigkeit zu führen“, so Eissenhauer weiter. Einen Anknüpfungspunkt für derartige Diskussionen soll vor allem die Neupräsentation des Berliner Sammlungsbestandes zur Kunst des 20. Jahrhunderts bilden. Unter dem Titel „Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ sind nicht nur Highlights der Kollektion versammelt, sondern vor allem Werke, die „die gesellschaftlichen Prozesse“ der ersten Hälfte eines bewegten Jahrhunderts reflektieren, wie das Haus mitteilt.
Das 20. Jahrhundert ist zurück
Im weitläufigen Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie werden bis zum Sommer 2023 etwa 250 Arbeiten von Künstlern wie Otto Dix, Hannah Höch, Ernst Ludwig Kirchner, Lotte Laserstein und Renée Sintenis gezeigt. Über die kanonische Geschichte der Ästhetik hinaus will Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, mit der gesellschaftspolitisch relevanten Sammlung den Zusammenhang von Kunst und Sozialgeschichte vor Augen führen. Die Neue Nationalgalerie sei der ideale Ort, um unsere heutigen Fragen zu dieser „Moderne“ gemeinsam weiter zu verhandeln, so Jäger. Gleichzeitig bietet der offene Grundriss des Gebäudes vielfältige Perspektiven auf die unterschiedlichen Strömungen der Avantgarde. Eine Etage darüber, in der oberen Glashalle, widmet sich eine Sonderschau der skulpturalen und kinetischen Werke des US-Amerikaners Alexander Calder. Der Zeitgenosse Mies van der Rohes ist durch seine Arbeit „Têtes et Queue“, die auf der Terrasse des Museums steht, seit dessen Eröffnung eng mit dem Haus verbunden. Jetzt ehrt ihn das Museum mit einer Ausstellung seiner winzigen wie monumentalen Stabiles und Mobiles. „Alexander Calder. Minimal / Maximal“ gewinnt dabei vor allem durch den Dialog mit Mies’ strenger und monumentaler Architektur an Charakter.
Bezug auf die Architektur der Neuen Nationalgalerie nehmen auch die Werke der italienisch-deutschen Medienkünstlerin Rosa Barba. Im Grafischen Kabinett des Museums ist neben zentralen Stücken ihres Werkes aus den Jahren von 2009 bis 2021 auch eine neue Filminstallation zu sehen. Zentrales Motiv der Präsentation ist die Dimension der Zeit. Ausgehend vom Ausstellungstitel „In a Perpetual Now“ – In Immerwährendem Jetzt – stellt sich die Frage: wäre es eigentlich wünschenswert, immer in der Gegenwart zu leben? Für die Ausstellung hat sich Rosa Barba von Mies van der Rohes Utopie von Architektur als einer „neuen Lebensform“ inspirieren lassen. Im Außenbereich der Nationalgalerie sind im Skulpturengarten auch wiederentdeckte und restaurierte Werke, wie etwa eine Brunnenplastik von David Black sowie eine Figuren von Marina Núñez del Prado, aufgestellt. Eine zeitgenössische Intervention bietet Jorge Pardo mit seiner Umgestaltung des Museumscafés nach Motiven von Anni Albers und unter Verwendung einer mexikanisch-spanischen Formensprache. Weitere zeitgenössische Positionen thematisieren in einem kleinen Ausstellungskapitel im Untergeschoss die Geschichte des Gebäudes, darunter Werke von Isa Genzken, Veronika Kellndorfer und Michael Wesely.
Die Neue Nationalgalerie in Berlin öffnet am 22. August. Die Schau „Alexander Calder. Minimal / Maximal“ ist bis zum 13. Februar 2022 und die Ausstellung „Rosa Barba. In a Perpetual Now“ ist bis zum 16. Januar 2022 geöffnet. Die Neue Nationalgalerie hat anlässlich der Wiedereröffnung vom 22. August bis zum 29. August einschließlich montags von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Regulär öffnet das Haus dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr sowie donnerstags bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet 14 Euro, ermäßigt 7 Euro. Der Besuch ist nur mit einem Zeitfensterticket möglich, das online gebucht werden kann. Der Verkauf von Standorttickets ist momentan ausgesetzt. Eine Testpflicht besteht nicht. |