Die allgegenwärtigen Corona-Toten haben das Staatstheater Darmstadt dazu veranlasst, über das Sterben und den Tod nachzudenken. Die Pandemie mache uns die Verletzlichkeit des Menschen besonders bewusst, so Intendant Karsten Wiegand. „Wie gedenken wir der Corona-Toten? Wie denken wir an unsere Sterblichkeit? Welche Vorstellung vom Tod haben wir? Ist der Tod im radikalen Unterbruch des Alltags präsent oder verdrängt? Wir haben uns gefragt, ob es einen Raum geben kann, der hilft, diesen zugleich sehr persönlichen und gesellschaftlichen Fragen konzentriert nachzuspüren“, so Wiegand weiter. Dabei sind er und seine Kollegen auf Gregor Schneiders „Sterberaum“ gestoßen, den sie nun in ihr Haus geholt haben und kommentarlos im Internet präsentieren.
Erste Überlegungen zu dem modernistischen Raum, in dem eine Person in einem Museum vor den Augen der Besucher sterben sollte, hatte Gregor Schneider im Jahr 2008. Dem Tod wollte er damit sein Tabu wegnehmen, ihn in die Mitte der Gesellschaft holen und seine Schönheit zeigen. Neben Sympathiebekundungen wurde Schneider in den Medien vielfach angefeindet und mit Morddrohungen konfrontiert. Daher ließ er zunächst davon ab und richtete den Raum ohne Sterbenden erstmals 2011 im Kunstraum Innsbruck ein. Seine Ideen konkretisierte Schneider in einem Interview: „Kunst hat für mich einen zutiefst im positiven Sinne humanen Anspruch. Sterben kann auch Kunst sein. Im Grunde ist ein Sterberaum ein persönlicher Gestaltungsauftrag für den Raum und die Umgebung, in der wir sterben, uns auflösen, um dann Tod zu sein. Eine Gestaltungsaufgabe, die jedem Menschen bevorsteht.“
Gegenüber dem Kunstforum International beschrieb der 1969 in Mönchengladbach geborene Bildhauer und Installationskünstler ausführlich das Aussehen des gebauten Kunstraums: „Ich habe einen Sterberaum gebaut, der für mich als Bildhauer das eigentliche Kunstwerk ist. Doch dieser kann auch als solcher genutzt werden. Er ist ein Nachbau eines Raums aus dem Museum Haus Lange/Esters, der in meinen Augen einer der empfindsamsten und künstlerisch anspruchvollsten ist, die wir für die Gegenwartskunst als Museumsbau haben. Es handelt sich dabei um einen von Licht durchfluteten Wohnraum mit großen Fenstern und Holzboden. Von Mies van der Rohe konzipiert, ist er für mich ein Ausdruck von räumlicher Freiheit… Der Kunstraum kann die nötige Würde schaffen, um das Sterben und den Tod auch öffentlich sichtbar zu machen.“
Auf der Bühne im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt steht nun Gregor Schneiders „Sterberaum“ und wird für drei Tage und Nächte live übertragen. Die Stille des leeren Zuschauersaals, die vereinsamte Bühne und Gregor Schneiders sachliches und unpathetisches Kunstwerk sollen das bewusste Heraustreten aus der Zeit in einen erlebnisleeren Raum für eigene Gedanken oder Gedenken an die Verstorbenen ermöglichen. Der magische, stille Raum mit warmem Licht und großen Fenstern – inspiriert durch das Museum Haus Lange/Haus Esters von Ludwig Mies van der Rohe in Krefeld – sei Gregor Schneiders persönlicher Sterberaum, so Karsten Wiegand. Hier würde er sterben und hier bekommt seine langjährige Beschäftigung mit dem Tod, mit Auflösung und Übergang, Gestalt: „Der Tod bleibt für uns eine unverfügbare Erfahrung“, so Schneider. „Und doch zeigt uns das Sterben, was es heißt, ein Mensch zu sein. Denn dieses Schicksal teilen wir mit allen Menschen.“
Vom 28. Januar, 21 Uhr, bis zum 31. Januar, 22:30 Uhr, überträgt das Staatstheater Darmstadt in einem Live-Stream den „Sterberaum“ nach draußen und unterbricht auf seiner Webseite damit die Präsentation der sonstigen künstlerischen Arbeiten. Drei unterschiedliche Perspektiven wollen in ihrer Leere, Stille und Ereignislosigkeit Raum für Gedanken zu Tod und Sterben und für die Erinnerung an die Toten geben.
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