Winterthur untersucht Macht und Gewalt in der Fotografie Hat das Fotomuseum Winterthur vor einem Jahr in „Darkside I“ Begierde und Sexualität in der Fotografie unter die Lupe genommen, geht es ihm nun in „Darkside II“ um Macht-, Verfalls- und Gewaltdarstellungen. Stand damals das Lustvolle und die Sinnlichkeit des Köpers im Mittelpunkt, wird nun Weg vom intakten, integren Lieb zum versehrten, verwundeten, verstümmelten, verwitternden und verwesenden Menschen beschritten. Dabei ist auffällig, dass es eine intime Affinität zwischen Fotografie und Tod, zwischen Bild und Gewalt gibt. Die Bilderwelt des Abendlandes ist voller Gewaltdarstellungen, wilder, vagabundierender Gewalt ebenso wie kriegerischer Gewalt und ordnender, staatlicher Gewalt. In merkwürdiger Verkehrung schlossen die Gesellschaften früher Bilder von lebensbejahender, Leben vermehrender Sexualität weg, belegten sie mit dem Bann der Dunkelheit, des Abseitigen, während Bilder dunkler, exzessiver Gewalt damals wie heute ans Licht gerückt werden.
Umgekehrt ziehen Bilder selbst Gewalt an. Bildern entspringt Kraft und Macht. Sie wollen nicht nur repräsentieren, sondern zeigen, „de-monstrativ“ sein. Der Akt des Fotografierens ist nicht nur ein Dokumentieren, er ist immer auch ein Bestätigen und Eingriff ins Geschehen: Kinder lachen, Frauen weinen, weil sie fotografiert werden, bestimmte kriegerische Akte geschehen nur, weil eine Kamera zugegen ist. Die Ausstellung zeigt dies an der Entwicklung des menschlichen Körpers. Zuerst ist er noch integer, positive Energien treiben ihn zur spielerischen Auseinandersetzung und zum Risiko an, er wagt sich freiwillig hinaus und gewinnt trotz einiger Blessuren. Dann tritt seine Überformung auf. Kulturelle Körperbildern definieren ihn um; er wird geritzt, gepusht, gespritzt und schließlich der neuen Vorstellung immer weiter angepasst.
Dann öffnet sich der Leib: Er ist verletzt, verwundet, er wuchert, wird vergiftet, es gärt und fault in ihm. In Sophie Ristelhuebers Fotografie ist es eine lange Naht am Rücken einer Frau, die nötig für seine Behandlung ist, ihn mit vielen Stichen wieder schließt und seine Souveränität wiederherstellt. Doch es bleiben Narben. Im nächsten Schritt dreht sich die Energierichtung um. Körper werden hingerichtet, gehängt, geköpft, durch Stromstöße ausgelöscht. Körperliche, mentale und emotionale Gewalten greifen seine Integrität an, verletzen und vernichten ihn. Allmählich verwittert der Körper, er altert, schrumpft, versteift sich, er vergeht, löst sich auf und verwest. Was bleibt, ist die Behauptung der Würde gegen das Vergehen des Körpers und schließlich der Tod. Dies alles legen Werke etwa von Antoine d’Agata, Christian Boltanski, Sophie Calle, Hans Danuser, Maria Friberg, Nan Goldin, Fred Holland Day, Peter Hujar, Miyako Ishiuchi, Sally Mann, Enrique Metinides, Shirin Neshat, Gilles Peress, Walid Ra’ad, Sophie Ristelhueber, Andres Serrano, Fazal Sheikh, Cindy Sherman, William Eugene Smith, Weegee und Francesca Woodman dar.
Die Ausstellung „Darkside II – Fotografische Macht und fotografierte Gewalt, Krankheit und Tod“ läuft vom 5. September bis zum 15. November. Das Fotomuseum Winterthur hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs zusätzlich bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 9 Franken, ermäßigt 7 Franken. Der Katalog aus dem Steidl Verlag kostet in der Ausstellung 69 Franken.
Fotomuseum Winterthur
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