 |  | Nachbildung der Paradiestür von Lorenzo Ghiberti | |
Kein geringerer als Michelangelo Buonarroti soll mal geäußert haben: „Die Schönheit dieser Tür macht sie würdig, Pforte zum Paradies zu sein.“ Damit gemeint ist das Ostportal des romanischen Baptisteriums auf den Domvorplatz von Florenz, das seitdem als „Paradiestür“ bezeichnet wird. Entworfen und ausgeführt wurde es von Lorenzo Ghiberti zwischen 1425 und 1452, nachdem er bereits zu größter Zufriedenheit aller in den zwei vorherigen Jahrzehnten das Nordportal geschaffen hatte. Doch bei der Paradiestür handelt es sich um ein epochales Kunstwerk. Zehn quadratische und vergoldete Bronzefelder stellen auf seinerzeit revolutionär empfundene Weise Begebenheiten aus dem Alten Testament vor. Befreit von starren Vierpassrahmungen zurückliegender Epochen offenbaren die Szenen neue kompositorische Möglichkeiten. Nahezu bis zur vollplastischen Ausprägung schieben sich die Figuren von Adam und Eva, Kain und Abel, Saul und David oder Esau und Jakob nach vorne.
Speziell bei den Architekturstaffagen greift Ghiberti auf die um 1420 „erfundene“ Zentralperspektive zurück. Besonderes Interesse an perspektivischen Konstruktionen lassen die Szenen der Begegnung Salomons mit der Königin von Saba und der Geschichten Josephs erkennen. Mit ihrem Realismus sowie erzählerischen Geschlossenheit brechen sie radikal mit bis dato herkömmlichen formalen Schemata. Sensationell mutet den Zeitgenossen die Übertragung perspektivischer Gesetze auf das Medium des Reliefs über das Vortäuschen von Tiefe an. Gebändigt wird die Szenenanhäufung durch eine stille lineare Schönheit in den Umrissen aller Figuren sowie Harmonie der Gesamtkomposition. Zwischen den zehn Reliefplatten der sechs Meter hohen, vier Meter breiten und 40 Zentner schweren Zweiflügeltür befinden sich neben Tier- und Früchtemotiven 24 Prophetenfiguren sowie 24 Porträts inklusive jenen des Künstlers, seines Sohnes und Mitarbeitern.
Um dieses überragende Meisterwerk der Frührenaissance bewundern zu können, muss der Kunstfreund nicht nach Florenz reisen. Eine an die Aussagekraft des Originals heranreichende Zweitfassung wird in einem eigens dafür eingerichteten, kappellenartigen Raum unmittelbar neben dem Haupteingang der Württembergischen Metallwarenfabrik WMF in Geislingen an der Steige präsentiert. Wie gelangte ausgerechnet das heute 155 Jahre alte deutsche Traditionsunternehmen an die exakte Nachbildung? Zwischen 1890 und 1953 betrieb WMF auch eine „Galvanoplastische Kunstanstalt“. Hier wurden Modelle sämtlicher Formen und Größen vom Springbrunnen bis hin zum Großdenkmal produziert. Im Jahr 1910 erhielt diese Abteilung vom Städtischen Museum Stettin den Auftrag, für einen Neubau eine Zweitfassung der Paradiestür anzufertigen.
Spezialisten der WMF formten mit einer Gelatinemasse das Original in enger Zusammenarbeit mit den Stettiner Museumsspezialisten komplett ab, die auf akkurate Wiedergabe jeder Einzelheit größten Wert legten. In Geislingen wurden dann die Teile galvanisiert, verlötet und erneut galvanisiert, um die Lötstellen unsichtbar zu machen, sowie anschließend galvanisch vergoldet. Über 2.000 Arbeitsstunden benötigten die Facharbeiter der Kunstanstalt für die kunsthandwerkliche Meisterleistung. 1913 vollendet und sogleich auf der internationalen Baufachausstellung in Leipzig präsentiert, gelangte das Werk anschließend nach Stettin. Doch das Museum konnte es nun nicht mehr bezahlen. Der Weltkriegsbeginn 1914 und die Inflation der 1920er Jahre ließen erst recht keine Finanzierung mehr zu, so dass die Tür 1928 wieder nach Geislingen gelangte.
Da weitere Verkaufsbemühungen erfolglos blieben, wurde nach Abriss der aufgegebenen Galvanoplastischen Kunstanstalt 1953 ein neues Ausstellungsgebäude für Firmenprodukte errichtet. Hier erhielt Ghibertis Zweitportal seinen Schauraum. Mittlerweile fahren italienische Wissenschaftler nach Geislingen. Denn viele Einzelheiten sind am Urstück wegen umweltbedingter Korrosionen so extrem verwischt, dass die Geislinger Replik authentischer ist als das mittlerweile in einem Museum aufbewahrte Original. Mit der Haupttür des Baptisteriums schuf Ghiberti das Hauptwerk seines Lebens, das nun dank der einzigartigen Umstände zweifach dauerhaft gesichert ist.
Nun lohnt auch ein Blick auf die insgesamt umfänglichen Bemühungen von WMF um kunstvolle Produktgestaltungen. Im Jahr 1853 vom Müllersohn Daniel Straub als Metall- und Plaquéfabrik gegründet, betätigte sich der 16 Mitarbeiter starke Handwerksbetrieb in der Produktion silberplattierter Tafel- und Serviergeräte, bei denen auf billiges Kupferblech eine dünne Silberschicht gepresst wurde. Die Kannen, Dosen, Leuchter, Teekessel, Bestecke waren somit preiswerter als massige Silbererzeugnisse. Bereits 1862 errang die Firma auf der Londoner Weltausstellung eine Silbermedaille. 1876 wurden schon über 1.000 Modelle immer aufwendiger verzierter Produkte offeriert.
Mehrsprachige Musterbücher, Filialgründungen in besten Innenstadtlagen, Messebeteiligungen beförderten den Ausbau der Marktposition ebenso wie den weltweiten Export. Bei den ständigen Neuerungen wurde ein kluger Mittelweg zwischen Funktion und hemmungslosen Historismus beschritten. 1880 sicherte unter Federführung der württembergischen Vereinsbank die Überführung der auf 500 Mitarbeiter angewachsenen Firma in die WMF-Aktiengesellschaft die Zukunft. Das rasante Wachstum beschleunigte sich nochmals. Bis 1890 steigt das Personal auf 2.000 Menschen an; bis zum Ersten Weltkrieg waren 6.000 Beschäftigte beim seinerzeit größten Arbeitgeber Württembergs tätig. Zur Produktion von Glaseinsätzen wurde 1883 eine Glashütte gegründet, die bis 1982 bestand.
Um 1900 sind dann versilberte Hohlwaren und Bestecke das Kerngeschäft, 1904 bereits 20.000 Artikel im Pogramm. Nach kriegsbedingter Patronen- und Geschossproduktion boomt in den 1920er Jahren besonders das in sachlichen Fassungen zwischen Mode und zeitloser Zweckmäßigkeit gestaltete Bestecksortiment. Bedeutsam ist in der Zwischenkriegszeit der Ersatz des Silbers durch den rostfreien Stahl Cromargan beim Kochgeschirr und seit 1932 beim Besteck. Das silberähnlich glänzende „Chrom“ ist haltbar und geschmacksneutral. Erwähnenswert ist die Produktion der ersten elektrischen Kaffeemaschine ab 1927.
Doch auch das Kunstgewerbe kommt nicht zu kurz: 1927 wird eigens die neue kunstgewerbliche Abteilung „NKA“ mit vielfältigem Pogramm gegründet. Zu den wichtigen Eigenentwicklungen gehören die aus Glas und Silber geschaffenen Myra-Kristallglasgegenstände mit ihrem strahlenden Farbenglanz sowie die in großer Farbenpracht aufleuchtenden Behältnisse aus Feuer patiniertem Ikora-Metall. Heute sind diese im Stil der Neuen Sachlichkeit angelegten Gegenstände begehrte Sammlerobjekte; einst begründen sie den Ruf von WMF als „Auch-Kunstanstalt“. Designer und Architekten wie Peter Behrens liefern Entwürfe für WMF. Auffallend bleibt allerdings die Zurückhaltung gegenüber dem Expressionismus und dem Bauhaus.
Nach erneuter Produktion von Rüstungsartikeln beginnt WMF 1945/46 mit der Herstellung von Melkeimern und Milchkannen aus Blechen, die für die Flugzeugproduktion bestimmt waren. Nach Wiederaufbau, Automatisierungen und Rationalisierungen bestimmt das Unternehmen nach 1950 mit seiner modern-eigenständigen Ausformung aller Waren in Anlehnung an westliche Tendenzen maßgeblich das Nachkriegsdesign. Geschuldet ist dies maßgeblich dem zwischen 1950 bis 1971 für WMF arbeitenden Designer Wilhelm Wagenfeld, dessen saubere, ehrliche wie elegante Formen nachdrücklich das Pogramm prägen. Seine Butterdosen, Eierbecher, Bratpfannen, die Salz -und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ stehen für eine ganze Ära, in der das Cromargan endgültig das Silber ersetzt. 1953 führt die Entwicklung der Frischwassermaschine zum Durchbruch in der Kaffee- und Espressomaschinenproduktion.
Bis heute gelingt es, eigene Trends zu setzen und Impulse zu geben. Um weltweit weiterhin qualitätvolles Design anbieten zu können, werden internationale Entwerfer wie Matteo Thun oder Ole Palsby unter Vertrag genommen, deren Kreationen heute 2.300 Mitarbeiter im Geislinger Stammwerk zu bester Form und Qualität verhelfen. Was fehlt, ist ein eigenes Designmuseum für die umfangreiche Werkssammlung, die exemplarisch aus allen Produktionslinien Stücke von 155 Jahren versammelt. Im Keller unter Verschluss, stehen nur zu Ausstellungen entliehene Stücke vereinzelt im Licht der Öffentlichkeit. Hausintern werden sie in Verbindung mit zeitgenössischen Künstlern der Region in einem eigens eingerichteten „Kunstkabinett“ in wechselnden Präsentationen gezeigt.
Die Paradiestür von Lorenzo Ghiberti ist kostenlos täglich von 8:30 bis 11:30 Uhr und von 13:30 bis 16 Uhr zu besichtigen.
WMF Aktiengesellschaft
Eberhardstraße
D-73309 Geislingen an der Steige
Telefon: +49 (0)7331 – 251
Telefax: +49 (0)7331 – 453 87 |